Selbstregulierung

War es die letzten Monate so, dass KleinMadame (21 Monate alt) bei einem „Nein“ völlig empört reagierte und durchdrehendes Drama schob mit Geschrei und Geheule, so ist es seit einigen Tagen anders: Sie zieht eine Schnute, stampft erhobenen Hauptes in ihr Zimmer, schimpft dort wie ein Rohrspatz und erzählt ihren Pferden, welche bösen Monster ihre Erwachsenen jeweils gerade seien. Nach einer Weile kommt sie dann frohgelaunt wieder zurück, so als wäre gar nichts passiert. Sie hat für sich einen Weg gefunden, wie sie aktuell ihre überbordenden Gefühle selbst regulieren kann.


Ich habe diesen Entwicklungsschritt auf diese oder ähnliche Art und Weise im Laufe meines Lebens mit Kindern schon sehr oft erlebt und bin der festen Überzeugung, dass dies nur geschehen kann, wenn die Phasen vorher ohne Wertung und großes erzieherisches Tamtam zugelassen und liebevoll begleitet wurden.

Wir haben uns, im Beispiel von KleinMadame, schlichtweg nicht durch ihre dramatischen Auftritte aus der Ruhe bringen lassen, sondern haben ihr durch leise zugewandte Worte immer mitgeteilt, dass wir ihre Wut durchaus verstehen können und wenn sie keinen anderen Weg wüsste, damit umzugehen, dann solle sie halt schreien und toben. Sie war nie alleine mit ihren Gefühlswallungen, die vor allem für sie selbst sehr verwirrend und äußerst anstrengend waren. Und sie konnte jederzeit in die Arme oder auf den Schoss kommen um getröstet zu werden. Wir versuchten bei den Trotzanfällen eine ruhige und warme Atmosphäre zu schaffen und gleichbleibend zu signalisieren: Ich bin da für dich. Die „Neins“ allerdings, die es ja nur sehr selten und bedacht bei uns gibt, haben wir nie zurück genommen.

In solchen Situationen oder Phasen, die fast alle Kinder in diesem Alter durchlaufen, sind nach meinen Erfahrungen zwei Verhaltensweisen der Erwachsenen besonders kontraproduktiv: Laut schimpfen und/oder sich durch das Schreien und Toben des Kindes dazu hinreißen zu lassen, ein Verbot, ein Nein in dieser konkreten Situation zurückzunehmen.

Mit ersterem erzeugt man einen Druck, der das Kind und einen selbst immer weiter in den Kreis einer ausweglosen Situation hinein schleudert. Es entsteht ein Kampfszenario, das dann nach einer Weile gar nichts mehr mit seinem ursprünglichen Inhalt zu tun hat. Gleichzeitig signalisiert man damit dem Kind, dass man, obwohl man doch sooo groß ist, sein Elend und die Hilflosigkeit durch die aufkommenden Gefühlswallungen nicht verstehe und ihm auch nicht helfen und es nicht schützen könne, da man ja anscheinend selbst in den eigenen Gefühlen der Wut verheddert ist. Das macht noch mehr Wut, oder besser, es macht dem Kind Angst. Angst vor seinen überbordenden Gefühlen und Angst vor dem zürnenden Erwachsenen, der seine Gefühle anscheinend auch nicht im Griff hat. Aus diesem Gefühlsmischmasch kommt es alleine nicht mehr raus. Und der Erwachsene oft auch nur auf Umwegen. Meistens enden solche Szenarien in einem reinen Machtgebrauch des stärkeren Erwachsenen. Die Folgen kennen wir.

Im zweiten Fall gilt: Gibt man dem unregulierten Toben nach, dann lernt das Kind, dass dies wohl eine angemessene Form sei um seine Vorstellungen durchsetzen zu können. Es muss, vor allem wenn beide Verhaltensweisen der Erwachsenen immer wieder zusammen fallen (erst schimpfen und dann nachgeben in der Sache, weil der Erwachsene eben oft nicht weiß, wie er sonst wieder aus dem Geschehen heil raus kommt), zu der Erkenntnis gelangen, dass es nur lauter und länger Schreien müsse und es bekäme, was es zu wollen meine.

Mit dem Lernen einer selbstständig autonomen Affektregulierung allerdings hat das alles nix zu tun. Auf einer sehr unbewussten Ebene weiß oder spürt das auch das Kind. Ich habe nie erlebt, dass ein Kind, nachdem es durch Schreien und Toben seinen Willen bekam, wirklich entspannt zufrieden war. Da blieb eine wachsende innere Unruhe und Verwirrung zu spüren. Wie sollte es denn auch zufrieden sein können, wenn sein Erwachsener, der es doch schützen, behüten, dem es doch total vertrauen können muss, wenn sich dieser Erwachsene von seinen, das Kind doch selbst schrecklich beängstigenden, Gefühlsausbrüchen so lenken lassen ließ? Das verunsichert und macht Angst, ganz furchtbare Angst.

Wie immer gilt: Kinder lernen durch Vorbilder. Indem wir selbst ruhig und gelassen durch die Stürme des Tobens und Aufbegehrens der kleinkindlichen Emotionen bei den ersten Neins gehen, es weiter durchgängig liebevoll behandeln, nicht abweichen von dem von uns als richtig und notwendig empfunden „Nein“ in der konkreten Situation, zeigen wir ihm einen Weg aus seinen emotionalen Nöten: Gefühle können Angst machen, aber sie sind okay. Ich darf sie haben und es ändert sich dadurch nichts an der Liebe und Zuwendung meiner Erwachsenen für mich. Ich kann mich auf sie verlassen. Auch auf ihre Neins. Ich kann meine Gefühle auch auf andere Art und Weise ausdrücken. Ich darf das ausprobieren.

Wenn das oft genug durchgespielt wurde, oft genug erlebt werden durfte, erst dann ist, meiner Meinung nach, der Weg frei für eigene Versuche des Kindes seine Affekte selbst zu regulieren. Und die Kleinen sind darin dann erstaunlich kreativ, denn auch sie haben überhaupt keine Lust auf all die Anstrengungen, die entstehen, wenn sie immer wieder von unkontrollierten Gefühlen überrollt werden. Ich vertraue ihnen da total.  

*Anmerkung

Wenn diese Phasen überwunden sind, meistens enden sie mit der sicheren Beherrschung der Sprache, dann gilt es zu lernen, auf beiden Seiten, dass man über „Neins“ sehr wohl auch diskutieren und sie hinterfragen kann. Ein ganz neuer, spannender Spaß dann *kicher