Stillen im öffentlichen Raum

Ich würde aus „Ich-stille-mein-Baby-im-öffentlichen-Raum“ keine Ideologie machen. Ich würde es mir aber auch nicht verbieten lassen, weil ein Verbot irgendwie beinhaltet, ich würde unangemessen und unflexibel damit umgehen. Meine Erfahrung von Angemessenheit: Manchmal wäre Warten lassen einfach unangemessen. Manchmal brauchen wir einen stillen, äußerst geschützten Ort. Manchmal macht Trubel guten Hunger. Manchmal kann ich nicht alleine sein, weil ich sonst zu unruhig bin. Manchmal, manchmal …  Wegweiser ist eigentlich für Angemessenheit immer „Wie geht es meinem Kind und was braucht es gerade, damit es ihm jetzt gut geht?“ Diese Flexibilität und Verantwortung würde ich mir durch ein Verbot nicht nehmen lassen. Ich kann selbst denken.

„Man schlägt nicht!“

„Nun, es gibt Situationen im Leben, da wäre es schon recht sinnvoll, zum Schutz für Leib und Seele, schnell und kompetent zuschlagen zu können.“

„Mit Gewalt lässt sich kein Konflikt befriedigend lösen.“


Die menschliche Handlungspalette ist riesig und umfasst unzählige Optionen. Dazu gehören auch recht aggressive Handlungsweisen. Nichts davon ist an sich erstmal besser oder schlechter, weil es immer auf den jeweiligen Kontext ankommt.

Lernziel beim Kinde wäre die Erkenntnis: In jeder Situation habe ich die Wahl zwischen mehrere Handlungsmöglichkeiten.

Um damit flexibel und verantwortlich umgehen zu können, muss man diese Handlungsoptionen und ihre jeweiligen Konsequenzen ausprobieren dürfen. Muss den Vor- und Nachteilen nachspüren können. Muss erleben, wie sich das jeweilige Ergebnis anfühlt. Da helfen keine bloßen Erklärungen, das muss man erfahren dürfen.

Wo wäre dies besser möglich als in dem durch achtsame Erwachsene geschützten Rahmen des kindlichen Miteinanders?

Beispiel: Streiten sich zwei Kleine um einen Bagger. Kreischen, zerren, hauen sich drum. Der Bagger liegt währenddessen unbenutzt nebendran. Hinzugehen und zu sagen: „Hört auf euch zu streiten, zu hauen! Das macht man nicht! Das gibt es hier bei uns nicht!“ ist eine nette Herangehensweise. Irgendwann hört aber keiner mehr zu, da es irgendwie nicht so richtig zu einem Ergebnis führt. Zumal dieser von außen und von oben nach unten durchgeführte Eingriff auch schon wieder eine leichte gewalttätige Tendenz hat und kein gutes Beispiel dafür ist, wie man mit Konflikten umgehen könnte.

Sinnvoller wäre es doch, die Situation ganz ruhig und beiden zugewandt zu benennen: „Ihr wollt beide mit dem Bagger spielen. Jetzt streitet ihr euch. Keiner spielt jetzt mit dem Bagger.“

Durch die Frage: „Wie könntet ihr das denn lösen, so dass ihr beide was davon habt?“ kann man dann den Weg frei geben für den Gedanken, dass es überhaupt auch noch andere Lösungen geben könnte. Die wird man vielleicht nicht gleich finden, wird manches ausprobieren, was sich auch nicht richtig gut anfühlt, aber, indem man immer wieder in diesem Muster daran arbeitet, bekommt man Übung und ein Gespür dafür, was wann wie passen könnte. Kinder sind da unheimlich kreativ und lösungsorientiert.  

Provokation

Ihr hüllt eure Kinder in Wattebäuschen, entschärft Märchen bis zur Unkenntlichkeit, schleift den Vampiren die Zähne und erklärt Eisbären zu Kuscheltieren, die dann auch noch süße, kleine Pinguine zu Spielkameraden haben (das geht nicht!). Kinder sollen dies und das und jenes nicht mitbekommen, schon gar nicht die Realität, denn es könnte ihnen ja schaden oder sie gar traumatisieren. Ihr müllt sie ein mit euren Scheinheiligkeiten und monologisiert sie hundert Mal am Tag zu mit all dem „Das darfst du nicht! Das macht man nicht! Hauen darf man nicht! Streiten darf man nicht! Und dies und das und jenes sind verboten! Wir haben uns alle lieb und die Welt ist ein kuscheliges Himmelbett.“

Kinder sind nicht doof. Sie sind nicht blind und taub. Sie bekommen sehr wohl und sehr früh mit, dass die Welt halt so gerade nicht ist, gar nicht so sein kann. Denn da gibt es ein Machtgefälle zwischen ihnen und den Erwachsenen, und zwischen dem Erwachsenen hier und dem dort auch, das sie zwar täglich spüren, aber nicht zu benennen und einzuordnen lernen. Die Welt kann sehr wohl hart, ungerecht, wahnsinnig, kalt, erschütternd und tödlich sein. Auch in der Familie oder im familiären/sozialen Umfeld. Doch sie lernen, dass sie darüber nicht reden dürfen. Und schon gar nicht dürfen sie wütend, stinkig, traurig, zornig, streitend, neugierig, verwirrt, verzweifelt sein. Denn diese Gefühle sind ein großes Bäh, obwohl sie sie doch immer wieder bei den Erwachsenen selbst wahrnehmen. Und irgendwann geht es dann nicht mehr ums „Dürfen“, sondern ums „Können“. Doch sie können gar nicht, weil sie nie durften.

Sie (er)leben von klein auf den totalen Widerspruch. Denn eure Verbote und Belehrungen sind sehr wohl oft aggressiv und erniedrigend und ihr setzt sie durch mit eurer Eltern- und Erwachsenengewalt. Warum glaubt ihr wohl finden junge Jugendliche Ballerspiele und Hardcorefilme so attraktiv? Warum sind Gewalt und Tod so faszinierend? Warum schlagen und hassen sie noch als Erwachsene so völlig ins Blaue hinein? Unter anderem auch deswegen, weil sie einen Teil von dem zeigen, sehen, stellvertretend erleben, in völlig verquaster Art und Weise ausleben wollen, was sie als kleine Kinder nie zeigen und spielerisch in einem geschützten Rahmen ausleben, ausprobieren durften. Sie hatten nie die Chance zu lernen, ihre Gefühle selbst zu regulieren, denn sie durften diese ja gar nicht haben. Sie haben nicht gelernt, dass es zum Beispiel zwischen dem um sich Schlagen und dem stillschweigenden Hinnehmen noch so viele unterschiedliche Facetten des Möglichen gibt, denn sie durften es ja nicht probend üben. Sie haben nicht gelernt, dass man sich gemeinsam gegen Unrecht und Gewalt zur Wehr setzen kann, denn im blaurosa Himmelbettchen ihrer überbehüteten Kindheit brauchte es ja keine Solidarität.

Das ist dir zu platt? Ja. Suchen wir doch gemeinsam nach Beispielen aus dem echten Leben.

Du fühlst dich durch das „Ihr“ überhaupt nicht angesprochen. Fein! Dann machst du es ganz anders. Erzähl es uns und lass uns an deinen Erfahrungen teilhaben.
--------
*Aus einem Gespräch darüber
Es geht ja nicht um Konfrontation oder aufgezwungener Informationsvermittlung am aktuellen Interesse des Kindes vorbei. Eigentlich geht es um eine grundsätzliche Haltung im gemeinsamen Leben: Gefühle darf man haben. Jedes Gefühl. Dazu gehören auch Traurigkeit, Unsicherheit, Zorn, Verzweiflung, Angst. Es wäre hilfreich, wenn man, auch in Anwesenheit von Kindern, diese Gefühle, wenn man sie denn hat, konkret zu benennen. Das ermutigt das Kind und zeigt, dass diese Gefühle keine verbotenen sind. So ein ganz banales Beispiel: Es gibt so Kinderfilme, da heul ich einfach los, weil sie etwas in mir antriggern. Also heulte ich und erklärte, warum ich es so gemein fand, dass Bambis Mutter erschossen, das Biest so verachtet und die Zwillinge getrennt wurden. Oder ich benannte meine Verzweiflung, wenn ich wieder mal aufgrund von mangelndem Geld einen Wunsch von ihnen nicht erfüllen konnte. Ich entschuldigte mich, wenn ich sie anschimpfte und eigentlich sie gar nicht meinte, sondern den ungerechten Chef auf Arbeit und erklärte meine Gefühle dabei. Und als sie älter waren, dann konnte ich ihnen auch meine Wut zeigen, wenn wieder einmal jemand jemanden "Penner" nannte oder jemand jemanden noch einen Tritt gab, wenn dieser jemand schon am Boden lag oder mir verbieten, dass man auf mich schießt. Ich konnte diese Gefühl zeigen, benennen und erklären, dass ich damit konkrete Bilder verband, die ich aus diesem und jenem Grund nicht gut fand.... .... ... und, und, und .... es gibt so viele kleine Möglichkeiten im Laufe des Tages Kindern gegenüber Gefühlen einen Namen zu geben und vorzuleben, dass man diese sehr wohl haben darf. 

Erziehungsgedöns

„Frau Müller, Sie haben ja zwei Kinder groß gezogen, haben jetzt ein Enkelkind im Haus und öfters in Ihrem Leben mit Kleinkindern gearbeitet. Was waren und sind Ihre pädagogischen Grundsätze?“

„Kinder sind kleine Menschen, denen es an Erfahrungen fehlt. Beim Machen dieser Erfahrungen begleite ich, viele werden durch mich ermöglicht. Ich zeige ihnen, wie ich es mache und schau mir an, wie sie es machen. Davon lernen beide Seiten. Ein wechselseitiger Prozess. Liebe, Respekt, Achtsamkeit sind die Zutaten von meiner Seite. Trotzdem gibt es ein Machtgefälle, das zu leugnen, wäre eine Lüge: Ich bin erwachsen, sie sind Kinder. Das verwische ich nicht, sondern benenne es in den jeweiligen Situationen konkret. Meint, es gibt Situationen, in denen bestimme ich. Ohne Wenn und Aber. Dafür gibt es Regeln. Die werden erklärt und gemeinsam immer wieder überprüft. Es sind nicht viele und sie verändern sich im Laufe der Entwicklung des Kindes. Beispiel: Überqueren der Straße an der Hand, in meinem Beisein, alleine. Das Belohnung-Strafe-System als Erziehungsmittel lehne ich ab. Ich freue mich mit dem Kind, wenn es etwas geschafft hat; ich ermutige es, es wieder zu versuchen, wenn es noch nicht klappt; ich erkläre Konsequenzen für Regelbruch (wie gesagt, es gibt eine überschaubare Anzahl von Regeln) und halte diese konsequent ein. Wenn ich Fehler mache, dann rede ich drüber und entschuldige mich. Und, und … ach, wir wollen hier doch kein Buch schreiben. Das Wichtigste ist: Kinder lernen durch Vorbild. Also liegt es an mir und an meiner Arbeit an und mit mir, was da gelehrt und gelernt wird.“

„Ein Beispiel vielleicht noch über eine Regel, die nicht zu den pragmatischen gehört wie das ÜberdieStraßegehen?“

„Na ja, wichtig war mir bei meinen Kindern: Wir lügen uns nicht an. Nicht weil Lügen an sich schlecht sei, sondern, weil es Vertrauen bricht und die Intelligenz des Gegenübers beleidigt. Zu lernen gilt: Es gibt nichts, aber auch gar nichts, über das man nicht reden könnte. Hartes Brot, auch für die Erwachsenen. Wir lügen und schummeln im Laufe des Alltags mehr, als ich je vermutet hätte. Und da wir Vorbilder sind, heißt das immer wieder reflektieren, dazu stehen, laut benennen, lernen es anders zu machen.“

„So wie Sie das formulieren, erscheint Erziehung als harte Arbeit, Frau Müller.“

„Nennen wir es nicht Erziehung, sondern das zusammen Leben mit heranwachsenden Menschen. „Erziehung“ hat für mich immer den Geschmack von oben nach unten. Das widerspricht aber meinen Erfahrungen. Es ist ein beidseitiges Geben und Nehmen und gemeinsames Lernen und Wachsen. Und ja, es ist arbeitsintensiv. Auf der Erwachsenenseite vor allem Arbeit an sich selbst. Läuft irgendwas schief mit und bei dem Kind, dann muss ich zuerst bei mir gucken. Das Kind spiegelt mich und meine Art des Umgangs mit mir und ihm. Bleibe ich in kritischen Situationen bei mir, erledigen sich die meisten starren Erziehungskonzepte ganz von selbst. Eine sehr bereichernde Arbeit, ja. Ach, und vielleicht noch das: Perfektion gibt es nicht. Alles ist im Fluss, Fehler sind Lehrmeister und liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen ist das Schmieröl für lebendige und freudvolle Beziehungen, auch mit den Kindern. Das lehren sie uns nämlich und sind voller Verständnis für den Mist, den wir da ab und an bauen.“

Du lehrst mich jeden Tag aufs Neue:
Perfektion gibt es nicht
Alles ist im Fluss
Meine Fehler sind unsere Lehrmeister
Der liebevolle Umgang mit sich selbst
und anderen ist das Schmieröl
für lebendige, bereichernde Beziehungen
Auch und gerade mit euch Kindern
Danke!


Regeln für die Regeln


So wenige wie möglich, so viele wie notwendig

Alle! Beteiligte müssen den Sinn einer Regel verstehen und nachvollziehen können.

Am besten stellt man die Regeln gemeinsam auf.

Die Regeln gelten für alle Beteiligten, es sei denn, die Ausnahmen wurden benannt, verstanden und akzeptiert.

Regeln leben auch durch Vorbild.

Die Konsequenzen für Regelbrüche sind offen, klar und gemeinsam beschlossen.

Regeln unterliegen keiner Willkür. Sie gelten nicht heute so und morgen so. Solange sie vereinbart sind, gelten sie.

Jeder hat jedoch jederzeit das Recht, eine Regel in Frage zu stellen. Dann wird gemeinsam ein neuer Konsens/eine neue Regel hergestellt.

Ein Regelbruch ist keine Infragestellung der Regel. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ebenen.

Regeln sind kein Selbstzweck. Trotzdem geben sie, wie Rituale, Sicherheit, Struktur und schaffen Gemeinschaft. Wenn sie denn gemeinsam verstanden, erstellt und akzeptiert wurden.

Offene und ehrliche Kommunikation ist die Basis jedweder Regelei.

Regeln sind kein Machtinstrument. Werden sie als solches missbraucht, dann sind es keine Regeln mehr, sondern einseitig erlassene Vorschriften.

Regeln kann man brechen. Die Konsequenzen nimmt man eigenverantwortlich gelassen in Kauf.

Ich weiß schon, warum ich eine Anhängerin der SoWenigWieMöglich Fraktion war und bin. 

Irrtum

„Können Sie mir etwas über das pädagogische Konzept Ihrer Einrichtung erzählen?“

„Bei uns werden schon die Kleinsten kindgerecht an bildungsrelevantes Wissen und entsprechende Themen herangeführt. Aufgrund unserer geförderten Personalgestaltung bieten wir zwei bzw. drei sprachige Gruppen mit Muttersprachlern an. Wir fördern, nach den allerneusten Erkenntnissen angeleitet, das kindliche Potential und legen Wert auf strukturierte Angebote und einen ebensolchen Tagesablauf. Zusätzlich können in den Nachmittagsstunden bestimmte Lernfelder (z.B. musikalische Früherziehung, angeleitete Tanzgruppe, Vorschulerziehung, gewaltfreie Kommunikation, Kinderyoga) zur Vertiefung hinzu gebucht werden. Ab dem 5. Lebensjahr gehen die Kinder in die Vorbereitungsgruppen für die Schule. Wir arbeiten sehr eng mit den umliegenden Grundschulen zusammen, so dass der Übergang von Kindergarten in Schule leichter fällt.“

„Ach nein, das ist uns zu billig. Sie bieten ja anscheinend nur marktkonforme Förderung, Bildung, Erziehung an. Das wollen wir nicht für unser Kind. Wir hätten schon ganz gerne eine hochqualifizierte Einrichtung, in der das Kind einfach Kind sein darf. Aus dem Kind soll ja schließlich mal was werden.“ 

Traumerfüller

Manche Erwachsene verstehen da etwas miss, darum kann es gar nicht oft genug wiederholt werden: Für die Erfüllung deiner Träume bist nur du zuständig. Weder der Partner, noch die Partnerin und schon gar nicht dein Kind oder deine Kinder. Immer wieder erlebe ich es, dass Kinder die unerfüllten Träume ihrer Erwachsenen erlösen sollen. Diese Aufgabe ist unerfüllbar und macht alle Beteiligten krank: Das Kind, weil es damit völlig überfordert und den Erwachsenen, weil der Geschmack der angestrebten Traumerfüllung ein bitterer ist. Lasst es einfach sein, es bringt nichts außer Leid und Enttäuschungen auf allen Seiten. Habt euch bedingungslos  lieb, das ist schon Aufgabe genug.

Knusperhäuschen

„Ja, die Hexe hätte heute keine Chance mehr mit ihrem verlockenden Knusperhäuschen.“

„Wie kommen Sie denn jetzt auf so was, Frau Müller?“

„Mir ging gerade durch den Kopf, dass die Kinder heute viel zu gut geschult sind in all den Feinheiten der Lebensmittelzusätze und wie gefährlich die sind. Wegen Allergien und Unverträglichkeiten und so. Süßigkeiten sind das große Bäh.“

„Aber, Frau Müller, Kinder sind Kinder! Und Kinder lieben Süßbatsch. Die könnten nicht widerstehen.“

„Doch, würden sie. Sie sind derart eingeschnürt in elterliche Überwachung und Behütung. Die würden sich nicht trauen. Die kämen ja nicht mal bis in den Wald.“

„Arme Kinder. Dann könnten sie die Hexe ja gar nicht in den Ofen stoßen.“

„Eben. Darum geht es doch.“ 

Emotionaler Missbrauch

Deine
Vergangenheit
kann niemand ändern.

Aber wir können gemeinsam
die alten Muster aufspüren,
dem Schmerz, der Traurigkeit
und dem Zorn des Kindes
einen sicheren Raum und
eine Stimme geben.
Lass uns eine neue, erwachsene
Melodie für Dein Leben schreiben.

Emotionaler Missbrauch durch die Eltern gräbt sich tief in die eigene Seele ein und lässt sich nur schwer entwirren. Manche Menschen tragen diese Bürde ihr ganzes Leben lang mit sich herum, wiederholen die selbstverletzenden Muster in eigenen Partnerschaften und geben diese in vielen Fällen an ihre eigenen Kinder weiter.

Emotionaler Missbrauch hat oft ein scheinbar fürsorgliches, liebevolles Gesicht. Versteckt sich hinter einem „Ich tue doch alles für dich.“ und „Ich will doch nur dein Bestes!“. Und doch steckt dahinter immer auch die unausgesprochene Botschaft: „Sei dankbar!“, „Sei brav!“ und „Sei so, wie ich es will und brauche!“. Ansonsten droht Liebesentzug oder gar Bestrafung.

Kinder verwickeln sich, weil sie es nicht anders können und gelernt haben, oft in Schuld und Scham. Sie reagieren mit vorauseilendem Gehorsam, doch in ihnen gärt ein nebliges Wissen um die ihnen zugefügten Ungerechtigkeiten. Es zerreißt sie innerlich und schreddert jeden kleinsten Funken von Selbstgewissheit. Die eigenen Bauchgefühle werden zum inneren Feind.

Bindungsunfähigkeit, Nähe – Distanz Problematiken, Angstzustände, Beziehungsunfähigkeiten Abhängigkeitsverhältnisse, mangelndes Selbstbewusstsein, selbstverletzendes Verhalten sind nur einige der möglichen Folgen.

Die natürliche Reaktion auf emotionalen Missbrauch wäre der Zorn. Doch der ist verboten: Durch die Eltern, das soziale Umfeld und später durch sich selbst. Es bleiben die Angst, die Scham und das Schuldgefühl und weben ein festes Netz um jedes mögliche „Nein“, um jeden Gedanken an Unabhängigkeit, um jeden Schritt in das eigene, selbstbestimmte Leben.

Wir können die Vergangenheit nicht ändern. Aber wir können gemeinsam die alten Muster aufspüren und als Erwachsene dem Schmerz, der Traurigkeit und dem Zorn des Kindes einen sicheren Raum und eine Stimme geben und neue, erwachsene, Verhaltensmuster erarbeiten.

Das ist kein Spaziergang. Jeder Schritt kann wehtun. Es braucht seine Zeit. Hilfreich ist eine kompetente Begleitung auf diesem Weg.

Das ist mein Job. 

Kinderschutz

Das ist etwas, was ich noch nie verstanden habe und was mir schon vor vierzig Jahren beim Kinderschutzbund bitter aufgestoßen ist und mich seitdem immer wieder und wieder hilflos erstarren lässt: Warum zählt der sofortige Schutz des Kindes weniger als die mögliche Unschuldsvermutung in Bezug auf die Eltern? Ich kapiere es nicht, ich kapiere es einfach nicht. Wenn ein kleines Kind mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus kommt, dann hat es! und nicht die Eltern, ein Recht auf jetzigen Schutz. Sofort. Punkt. Was ist daran so schwer umzusetzen? Man könnte sich eventuell geirrt haben und das Kind ist wirklich die Treppe runter gefallen? Jesses, ja und? Dann wird das in Ruhe geklärt und in dieser Zeit kann das Kind vielleicht ein wenig gesunden. Es könnte aber auch anders sein. Und dann? Jedes gequälte und totgeschlagene Kind ist eines zu viel. Das Recht des Kindes auf umfassende und jederzeit zu sichernde körperliche und seelische Unversehrtheit wiegt meiner Meinung viel schwerer als die Befindlichkeitsstörungen von Eltern und Jugendamtsmitarbeitern. ... Und für die ganz Schlauen: Die jeweilige ethnische Zugehörigkeit von Eltern und Kind spielt überhaupt keine Rolle.

Ja, es wird ein riesen Bohei gemacht und alles ertrinkt in Vorschriften, Ausführungsbestimmungen, Amtshierarchien, Zuständigkeitsgerangel, Ängstlichkeiten, mangelnder Zivilcourage, Fünfausfertigungsformularen, Anträgen, Absprachen, Teamsitzungen, Blablablubbs - und zwischendrin verrecken die Kinder.

Baby schreit

Babys schreien lassen. Aus welchen verquerten Gründen auch immer, scheint dies immer noch oder schon wieder durch die Köpfe so mancher Menschen, und auch Pädagogen, als ein probates „Erziehungsmittel“ zu spuken. Mir wird schlecht.   

Da kleine Menschen noch kein Zeitgefühl haben, ist eine Sekunde schreien für sie identisch mit einer Ewigkeit. Allein dieser Gedanke schmerzt mich. Wie entsetzlich muss es sein in einem unendlichen Zeitkontinuum sich einsam und verlassen und nicht gehört zu fühlen. Manchmal denke ich, dass keine Minute der späteren Zuwendungen diesen Schmerz je gänzlich wird heilen können. Es prägt, ganz, ganz tief innen. Folgen: Gefühlte Einsamkeit, Bindungsängste, tiefe Zweifel an der eigenen Selbstwirksamkeit. Kann man das "heilen"? Nein, wenn ich ehrlich bin, dann denke ich, dass diese Wunde niemals verheilen wird. Man kann sie nur pflegen, so dass sie nicht permanent nässt und man kann vielleicht verhindern, dass sie immer wieder zu sehr aufreißt, indem man sich ihrer bewusst wird und sie als Teil von einem selbst liebevoll annimmt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist möglich.

Krippenspiel

“Aber es führt kein Weg um die Einsicht herum, dass die Mehrheit ganztagsbetreuter Krippenkinder, selbst wenn sie in schönen Räumen mit anregendem Spielzeug von engagierten Erzieher/-innen betreut wird, den Tag in ängstlicher Anspannung verbringen, dass sich dies bei einem Teil der Kinder in anhaltenden Verhaltensauffälligkeiten niederschlägt und dass mit dieser Form der Betreuung Risiken für die langfristige seelische und körperliche Entwicklung einhergehen.” (R.Böhm)

Kann ich aus meiner Erfahrung im U3 Bereich nur bestätigen. Morgens heiße Tränen beim Verabschieden und dann ab mittags dieses sich steigernde ängstliche Vergewissern, ob Mama/Papa ganz bestimmt wieder kommen. Manche der Kleinen sind zwischen 7 und 9 Stunden in der Einrichtung. Das ist an vielen Tagen schlichtweg zu lang. Zum Wohl des Kindes ist das nach meiner Meinung alles nicht. Und dann beschweren sich die Eltern auch noch, dass ihr Kind abends nicht einschläft bzw. in der Nacht unruhig schläft und verlangen von der Betreuung, die Kinder mittags nur ja nicht zu lange schlafen zu lassen, da sie hierin die einzige Ursache für ihre gestörte Nachtruhe sehen. Das ist alles so gaga, Leute. Immerhin lerne ich gerade voller Optimismus: Meine Berufssparte, die der Therapeuten, wird in Zukunft nicht arbeitslos werden. *grummel


Nein, dich interessiert nicht wirklich,
dass es da schon Frühstück gibt.
Du weinst.
Nein, du willst dir nicht das neue Auto angucken,
oder mit Leon spielen.
Du weinst.
Nein, du willst nicht noch vom Fenster aus winken
und von der fremden Frau fest gehalten werden.
Du weinst.
Nein, du glaubst nicht, dass sie wieder kommen wird.
Du weinst.


Deine Tränen interessieren nicht. Sie werden mit Gedudel und glatten Lügen übertüncht. Animationsgedöns, bis Gefühle verschluckt werden und sich ein Lachen über deine Lippen drängt. Du spürst, dass du damit der Frau, die dich im Arm hält, eine Freude machst. Also schluckst du tapfer weiter und lachst und spielst und verteilst Freude. Nur ab und an, da werden deine Augen groß, sind weit weg und nass. Und wenn das Schlucken nicht mehr klappt, dann schubst du mal willkürlich, beißt oder schlägst um dich. Dann hält sie dich wieder, diese Frau und schenkt dir alleine für ein paar Minuten Aufmerksamkeit. Dein leises Weinen hören sie nicht, dein Schreien und Toben schon. Was lernst du nur daraus, Kind?

Das ungewollte Kind

Die beste Basis für jedes Menschenkind:
In Liebe gewollt, empfangen, willkommen, angenommen und begleitet.

Wir alle tragen mehr oder weniger tiefe vermeintliche Verletzungen, Demütigungen, und Erniedrigungen (ich meine hier nicht! Gewalt und Machtmissbrauch gegen das Kind in jedweder Form) aus der Kindheit mit uns rum.

Das ist an sich nichts Tragisches. Es gehört zum Aufwachsen dazu und hat meistens seinen Grund in den unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen von Kindern und Erwachsenen. In der Regel können wir die dazugehörigen Bilder und die daran gekoppelten Emotionen später auflösen und freundlich wohlwollend damit, mit uns und mit allen Beteiligten umgehen.

Es gibt jedoch ein Trauma, das so tief geht, dass es kaum bewusst ist, unser Denken und Handeln aber über Jahrzehnte bestimmt und die Flexibilität unserer Wahrnehmungsfilter blockiert.

Dieses Trauma nenne ich „Das Drama des ungewollten Kindes“.

Dieses Nichtgewollt- und Nichterwünschtsein bestimmt sowohl das Verhalten der so fühlenden Erwachsenen gegenüber dem Kind, als auch dessen Wahrnehmung und Interpretationen von eben diesem Verhalten. Gleichzeitig verunsichert es das Kind zutiefst. Es traut seinen eigenen Empfindungen nicht mehr. Sein Bauchgefühl wird, besonders dann, wenn seine Erwachsenen aus einem diffusen Schuldgefühl heraus die Fürsorge zum Teil ins Absurde steigern oder sich Fürsorge und Vernachlässigung undurchschaubar in einem Affentempo abwechseln, von ihm verleugnet.

Die Auswirkungen sind umfassend und fatal. Schuldgefühle, niedriges Selbstvertrauen, Verlassens- und Versagungsängste, Bindungsstörungen, einbetonierte Glaubenssätze, unversöhnliche innere Richterinstanz und die daraus sich ergebenden manifestierten Handlungsmuster (z.B. kontextunabhängig bemühtes Wohlverhalten, diffuse Traurigkeiten, Fluchtreflexe bei Nähe, u.v.m. ) bilden einen dichten Kokon in dem Inneres Kind und Erwachsener untrennbar miteinander verwoben sind.

Die Wege daraus sind vielfältig und immer individuell. Das Erkennen, die Verarbeitung und die Transformation dieser grundlegenden Erfahrung und die Veränderung eingeübter Muster brauchen jedoch, egal welcher Weg gewählt wird, Geduld mit und sehr viel Wohlwollen für sich selbst . Ohne Unterstützung und Begleitung von außen geht da meistens gar nix.

Erwachsen werden

Du sollst nicht laufen, rennen, schreien,
sollst jedem jeden Scheiß verzeihen.
Sollst dich in die Ecke hocken,
leise sein und nicht mehr bocken
Sollst dein Herz ganz tief verstecken,
ja nicht deinen Zorn entdecken.
Du sollst brav sein, artig, zahm,
allerliebst und knetbar warm.
Solltest du mal aus Versehen
staunend doch im Regen stehen,
kommt gleich einer angerannt,
drückt dich wieder an den Rand.
Legt ne dicke Akte an,
weil er´s darf und weil er´s kann.
Darauf steht ganz fett gedruckt:
Wer hier aufmuckt, wird geschluckt,
durch gekaut und ausgespuckt.
Also lerne ganz geschwind:
Werd erwachsen, sei kein Kind!