"Ob Kitaträger oder Ämter, viel zu viele schauen weg. Und im Bund boykottieren die zuständigen Ministerpräsidenten aller Parteien überfällige Mindeststandards, die Kleinkinder schützen würden."

Es ist so erbärmlich widerlich.

Ich habe im Laufe meines Lebens selbst in einigen Einrichtungen gearbeitet. Allerdings nur in sogenannten "Kinderläden". Leider gibt es nur noch Reste von dieser Bewegung und kaum noch Einrichtungen, die nach solchen Konzepten arbeiten. Schade. Meine Erfahrungen dort waren ausgesprochen positiv.


"Frau Müller, würden Sie heute ihr Kind einfach in eine ortsansässigen / ortsnahen Krippe oder einen Kindergarten geben?"

"Nein, würde ich nicht. Ich würde mich umschauen, für Qualität, Kompetenz und Konzept auch weite Wege in Kauf nehmen. Und wenn ich nichts entsprechendes fände, würde ich eine Elterninitiative gründen und gemeinsam etwas aufbauen."

"Viele Eltern können sich das doch gar nicht leisten. Sie stehen finanziell, beruflich oder durch Ämter unter Druck. Sie müssen doch nehmen, was angeboten wird. Sie haben keine Wahl!"

"Tut mir leid, diese Argumente lasse ich nicht gelten. Man hat immer eine Wahl. Und die frühen Jahre der Kinder sind derart wesentlich bestimmend für das ganze Leben, dass man da schon mal Unannehmlichkeiten, Unbequemes, Verzicht, Aufruhr, Umbrüche in der eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen sollte. Das Wohl des Kindes steht da für mich an erster Stelle. Nicht diskutabel, so gar nicht. Da erwarte ich, dass die Erwachsenen für ihre kleinen Menschen kämpfen und sich für sie einsetzen. Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Es einfach ergeben hinzunehmen, geht gar nicht in meiner Welt."

Lernziel: Über meinen Körper bestimme nur ich

KleinMadame lernt unter anderem, dass nur sie entscheidet, wer ihren Körper wie und wann berühren darf, oder eben auch nicht. Ein Nein von ihr ist hier ein Nein. Sonst nix. Kein Drama, kein Erziehungsfeld, kein Stressfaktor.
Gleichzeitig lernt sie auch, dass dies für alle anderen Menschen ganz genauso gilt. In jedem Fall wird es benannt (Ihr erinnert euch? Vorbildfunktion): "Nein, ich will jetzt nicht geschubst, abgeleckt, gezwickt, geknutscht,... werden. Das ist mein Körper und darüber bestimme ich."  oder "Ist es okay, wenn ich dir jetzt die Windel wechsle, dich eincreme, dich knuddel ..."

Berührung hat sehr viele unterschiedliche Formen: Streicheln, küssen, kuscheln, schubsen, hauen, zerren, tätscheln, ...  und viele, viele mehr. Was da alles dazu gehört und wie sich ein gutes Gefühl bei Berührung von einem schlechten unterscheidet, ist ein langjähriger Lernprozess und geht viel über Trial and Error. Aber er ist grundlegend wichtig und gehört auch als wesentlicher Bestandteil in die Präventionskiste.

Also kommt mir jetzt nicht mit "Das Kind muss doch lernen die Hand zu geben!" Nein, das muss es nicht! Zuerst einmal muss es lernen, dass es das nicht muss, weil es das selbst entscheidet. Und dann, wenn es viel älter sein wird, wird es lernen, dass es kulturell bedingte Begrüßungsrituale gibt, die man zwar beherrschen können könnte - aber eben auch nicht immer und überall und mit jedem ausüben muss. Man entscheidet das wann, wo, mit wem immer noch selbst für sich.

Das hat eben nix mit Anstand oder Form zu tun, sondern für kleine Kinder erst einmal nur mit einem: Ich entscheide, wer mich wie, wann, wo berühren darf.  Niemand sonst. Es ist mein Körper und über den bestimme ich, genauso wie du über deinen bestimmst.

Schuld

Irgendwie ist das schon irre eingerichtet: Wenn die zum kleinen Kind gehörenden Erwachsenen das selbige bestrafen, demütigen, verletzen... dann sucht das Kind automatisch die Schuld dafür bei sich. Es kann gar nicht anders, denn seine Erwachsenen liebt es und es vertraut ihnen. Bedingungslos. Denn diese Liebe und dieses Vertrauen nähren es in einem allumfassenden Sinne. Es kennt doch noch gar nichts anderes.

Wäre es schon in der Lage, die Ungerechtigkeit, die Gemeinheit, die Gewalt im Tun seiner Erwachsenen zu erkennen und zu analysieren, dann könnte es sie nicht mehr lieben und ihnen nicht mehr vertrauen... und würde innerlich, und manchmal vielleicht auch ganz real, sterben. Die Entwicklungsprozesse des Kindes verhindern aber genau das. Es muss also die ihm, durch das Verhalten der geliebten Erwachsene angetragene, Schuld übernehmen, weil es gar nicht anders können kann. Wenn es aber so schuldig ist, wie ihm das Verhalten der Erwachsenen signalisiert, wie kann es sich dann selbst noch lieben lernen?

Das lassen wir uns jetzt ganz langsam auf der Zunge zergehen.


Noch schrecklicher als die Tatsache, dass manche Eltern ihr Kind nicht bedingungslos lieben, achten, respektieren können, ist für mich dieses so frühe Schreddern der Liebe des Kindes zu sich selbst und zu ihnen durch diese, wenn auch oft unbedachte, Verteilung von Schuld.

Welch eine Macht haben die Erwachsenen über das Kind. Und wie sorglos, ja wie beiläufig, unreflektiert, selbstherrlich und verantwortungslos gehen manche damit um.

Und, bevor wieder gefragt wird, wie kann man denn damit umgehen: Alles was mit Schuld und schuldig sein zu tun hat, gehört schlichtweg nicht in den Umgang mit Kindern. Bestrafung in jedweder Form, Erniedrigung, Demütigung, Gewalt sind die Marker, auf denen sich immer Schuld andockt und verteilt und gehören deshalb nicht in den Kanon eines wie auch immer gearteten Konzeptes von „Erziehung“. So ganz und gar nicht.

„Time-out-Methode“

Die „Time-out-Methode“ gehört für mich zu den widerlichsten Erziehungsmethoden und trägt bei mir das Etikett „Schwarze Pädagogik“.

Sie scheint sich jedoch wie ein Virus in den letzten Jahren wieder ausgebreitet zu haben. (Warum geht mir dabei wohl die Sendung „Super Nanny“ durch den Kopf?) Im dörflichen Umfeld meiner kleinen Enkelin ist dies zurzeit eine der bevorzugten Methoden Kindern etwas beibringen zu wollen. Da werden Zwei- bis Dreijährige ins verdunkelte Kinderzimmer, auf die Kellertreppe oder an sonst einen gruseligen Ort verbannt, damit sie  … ja was eigentlich? … lernen sollen.

Unabhängig von dem auslösenden Konflikt lernen sie durch diese Maßnahmen jedes Mal jedoch vor allem: Ich bin schuld. Ich genüge nicht. Es liegt an mir.

In einem Moment, in dem das Kind dem eigenen Gefühlschaos hilflos ausgeliefert ist und es nach Wegen sucht, damit effektiv umzugehen (was der Hauptgrund für vermeintlich kindlichen Ungehorsam ist), in diesem Moment, in dem es Beistand, Begleitung, Verständnis, Vorbild, Trost und liebevolle Zuwendung bräuchte, wird es weggesperrt und seinen Ängsten und seinem Gefühlsdurcheinander alleine und hilflos ausgesetzt.

Nein, es denkt im dunklen Zimmer nicht über sein „Vergehen“ nach, sondern ist völlig überfordert damit beschäftigt das verstoßende Verhalten seiner Erwachsenen emotional so einzuordnen, dass es daran nicht zerbricht.

Dieses Einordnen kann es aber noch gar nicht können, dafür hat es nämlich viel zu wenig Erfahrungen, Vorstellungen und Interpretationsmuster zur Verfügung. So bleiben ihm nur die durch diese Erziehungsmaßnahme angebotenen Koordinaten Schuld und Scham als Ordnungshelfer für die Wiederherstellung einer fragilen inneren Balance.

Und was ist mit der Wut? Wut als gesunde Reaktion auf verletzendes und erniedrigendes Verhalten der Erwachsenen im gegenüber. Sie muss unterdrückt und verdrängt werden diese Wut, weil es seine Erwachsenen doch bedingungslos liebt, lieben will und muss. Denn diese Liebe ist es, die ihm das Überleben sichert, innen und außen. Diese Liebe bringt es mit auf die Welt, sie ist quasi die verlängerte Nabelschnur, die ihm das Überleben in den ersten Jahren sichert und der erste Grundpfeiler seines sich herausbildenden Ichs. So vermischt sich die Wut mit Schuldgefühlen und Scham, nistet sich ein und sucht sich später unpassende verquerte Wege des Ausdrucks.

Ein irrer Kreislauf beginnt, in dem es nur Verlierer gibt.    

*Anmerkung
Die, von dem von mir sehr geschätzten Herrn Juul und anderen, vorgeschlagene "Auszeit ohne Wegsperren" kommentiere ich hier nicht, da mein Konzept des Lebens mit Kindern grundlegend von Anfang an anders läuft und es deshalb solche Situationen, in denen man sich "Auszeiten" nehmen müsste, zumindest in jungen Jahren, einfach nicht gibt.

Ja, aber was raten Sie denn nun, Frau Müller?

Ich kann keine verallgemeinerbaren Empfehlungen geben. Das widerspricht mir so sehr, sowohl in der Pädagogik, als auch in Bezug auf die Therapie bei mir. Darum wird es auch nie irgendwelche "Ratgeber"bücher von mir geben.

Die Menschen sind jeweils so einzigartig, die Umstände und die Konstellationen in denen sie sich bewegen sind es ebenso. Und meine Blick darauf doch auch. Also kann ich nur auf konkrete Situationen meine Sicht teilen und ein wenig Handwerkzeug an die Hand geben. Nicht mehr und nicht weniger.

Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch Grundsätze, die ich im Laufe meines Lebens oft überprüft habe, Manche habe ich weggeschmissen, manche habe ich verändert und manche habe ich behalten. Zu dem obigen Text hätte ich diese:

Kinder können nur Schuld annehmen. Sie können keine verteilen. Erwachsene können sowohl Schuld verteilen und Schuld annehmen. Aber! sie können auch damit aufhören. Das können Kinder nicht, einfach weil sie es noch nicht können können. Damit liegt, in meinem Verständnis, die Verantwortung für diesen ganzen Schuld und Sühne Mist schlichtweg und ausschließlich bei den Erwachsenen.

Zum Thema "Tischmanieren" -> Mach es einfach vor. Jeden Tag. Wieder und wieder. Und vertraue darauf, dass das Kind es in Situationen, in denen es wirklich drauf ankommt, einfach können wird. Ich würde da niemals einen Kampfplatz eröffnen drum.

Meine Erfahrung: Alle Kinder finden es toll mit Besteck zu essen. Doch sie bestimmen selbst, wenn man sie denn bitte lässt, wann sie anfangen es toll zu finden. Druck erzeugt hier nur Gegendruck und es ist halt viel geiler zu erleben, wie man die Erwachsenen von Null auf Hundert bringen kann, wenn man mit Sieben noch mal rumpatscht mit dem Essen. Welch ein Machtgefühl. Wäre es aber nicht, wenn der Erwachsene einfach gelassen wäre: Es ist dein Essen, iss es wie du meinst, dass es dir am besten schmeckt. Und man selbst isst halt weiter fein mit Messer und Gabel.

Nebenbei, in ganz vielen anderen Situationen, kann man dem Kind beibringen, dass es Situationen gibt, in dem man sich Regeln anpassen könnte. Nicht, weil „man“ es so macht, sondern weil es schlichtweg von Vorteil sein kann. Mama zieht sich besonders an, wenn sie auf Arbeit geht und Papa siezt den Herrn vom Finanzamt und zum Kindergeburtstag der Freundin geht man in den Klamotten, die man vorher ausführlich mit den Freundinnen ausdiskutiert hat. Bitte und Danke sagen die Eltern eh bei jeder Gelegenheit, nehme ich an.

Kinder lernen nicht durch predigen und auch nicht durch Bestrafung und Belohnung. Sie lernen durch Vorbilder. Ist eigentlich ganz einfach. ... Und immer, wenn ich selbst verunsichert war oder bin, dann nehme ich mir die Zeit und frage: Wenn ich mich so und so verhalte, was lernt das Kind da eigentlich? Ist ausgesprochen hilfreich, weil manchmal sehe ich die darunter liegende, wirklich tiefergehende eigentliche Lernbotschaft auch erst beim zweiten Blick. Das macht nix. Geht kein Kind dran kaputt, wenn die Grundhaltung eben ist, dass man es/sich immer wieder hinterfragt. Dann kann man auch mal locker ehrlich sagen: Das war jetzt einfach glatter Unfug von mir. Kommt gut an und ist ein feines Vorbild.

Spielplatzgespräche

An unserer Grundschule bekommen die Kinder Sternchen für braves Verhalten. Bei drei von diesen Dinger ist das ein Freilos für einmal keine Hausaufgaben machen müssen.

1. Mutter „Warum gibt es nur drei Sternchen? Die Woche hat doch 5 Tage?“

2. Mutter „Meine Tochter weint immer, wenn sie kein Sternchen bekommen hat.“

3. Mutter „Also das mit den Sternchen find ich ja gut. Aber das mit den Hausaufgaben nicht! Mein Sohn muss trotzdem alle Hausaufgaben machen, Sternchen hin oder her.“

4. Mutter „Das kennen die doch schon aus dem Kindergarten. Nur den Strafstuhl, den wollte die Schule bisher nicht übernehmen. Dabei war der so gut. Sternchen für die lieben Kinder und für die frechen Bälger der Stuhl. Wir sollten das mal auf dem nächsten Elternabend einbringen.“

Frau Müller bekommt innere Schnappatmung und macht sich schon mal auf die Suche nach einer Kindergarten/Schulalternative für ihr Enkelkind. 

Freiräume und Grenzen

"Wir sollten die Kinder nicht an die Hand nehmen und vorsichtig über jede Stolperstelle führen, sondern Räume mit altersgemäßen Stolperstellen schaffen - und ihnen vertrauen." (Felix Nattermann)

Ja. Und ein bissl Ahnung davon haben, was Kinder in welchem Alter können bzw. nicht können können. Beispiel: KleinMadame bewegt sich frei im Haus. Treppe rauf, Treppe runter. Mal oben bei sich, mal unten bei mir. Ein paarmal stand sie schon schnuppernd vor der geschlossenen Haustür. Nun hat sie sie auf gemacht und ist raus gegangen. Saß, wohl selbst erstaunt über das eigene Können, still und schauend auf der Bank vor dem Haus. Wir haben dann dort einfach eine Weile über dies und das geplaudert. So als sei alles gut und richtig. War es ja auch. Diese Tür alleine aufzumachen und durchzugehen ist ein wunderbarer Entwicklungsschritt! ...

Jetzt ist ein Riegel an der Tür, an den wir ran kommen, sie aber von der Größe her nicht. Warum? Weil direkt neben Garten und Hof die Durchgangsstraße ist. Abschließbar einzuzäunen ist da aus baulichen Gründen nichts. Mit zweieinhalb Jahren kann sie aber rein entwicklungsmäßig noch nicht Geschwindigkeit, Entfernung und Tödlichkeit von Autos einschätzen und ihr Nichtkönnen auch schon gar nicht.
Verbote und lange Erklärungen würden es in dieser Entwicklungsphase nur interessanter machen und ihr "kann ich selbst/alleine" herausfordern und bei uns allen zu reiner Energieverschwendung im Verbotserklärdschungel führen.

Also wird da nix diskutiert, nix besprochen, nix thematisiert, sondern einfach Fakten geschaffen. Riegel. Aus. Fertig. Da gibt es auch kein Heulen und Zedern von ihrer Seite. Sie nimmt es einfach hin, so wie sie andere Dinge hinnimmt, die einfach noch nicht gehen. Kinder sind soooooo klug. Und vielleicht vertraut sie uns einfach auch, weil sie weiß, dass es nur sinnige Regel in unserem Zusammenleben gibt und davon nur wenige, für sie (und uns) überschaubare. Und dass sie ansonsten in all ihren Bestrebungen Dinge kennen und alleine können zu lernen von uns unterstützt und ermutigt wird.

So viel Freiraum wie möglich, Regeln und Verbote nur so viele wie, ihrem Entwicklungsstand entsprechend, zu ihrer Sicherheit notwendig. Alles andere hat Gründe in den Erwachsenen und nicht im Kind.

Ich will!

Tipps zu geben, wie man Kinder dazu bringt, das zu machen, was man als Erwachsener will = Erziehungsratgeber.

Sinnvoller wäre es, Kinder liebevoll zu begleiten und zu unterstützen, so dass sie im Aufwachsen lernen, was sie selbst wollen.

Das kleinkindliche „Ich will!“ ist so mächtig. Eine der wunderbarsten Entwicklungsschritte überhaupt. Eine Steilvorlage der menschlichen Evolution. Da geht es um Selbsterkenntnis, Selbstwert, Reflexion, Abgrenzung und Eigenverantwortung. Das kann man lernen. Vor allem indem es einem vorgelebt wird. Ein wahnsinnig kreativer Prozess, der über viele Jahre andauert.    

„Ich“. Wer ist dieses Ich? Was weiß ich über mich? Was macht mich aus? Was macht mich einzigartig und besonders? Ich habe mich lieb, genauso wie ich bin. Hast du mich auch so lieb?

„Wollen“. Was will ich wirklich? Ist es genau das, was ich will? Oder steckt da noch mehr dahinter? Wer will da eigentlich was? Muss ich wollen, was ich darf? Darf ich auch nicht wollen, was ich soll? Meine Bedürfnisse, Träume, Wünsche, Begehrlichkeiten.

„Verantwortung“. Wenn ich bekomme, was ich will, was hat dies für Konsequenzen/Folgen für mich, meine Mitmenschen, meine Umwelt. Bin ich bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen?

Kinder bringen alles mit, damit sie dies lernen können. Sogar das Wollen, genau dies lernen zu wollen. Boah, was für ein Potential, was für eine Chance für uns alle.