Rollenspiel für schulische und außerschulische Projekttage
Grenzüberschreitungen – ein Spiel mit Folgen
Um etwas über mich zu erfahren, um in „Bewegung“ zu kommen,
benötige ich ein lebendiges Gegenüber.
Ich muss mich durch die Augen des anderen sehen können;
Mich anfassen können, indem ich den anderen anfasse;
Muss meine Grenzen in den Grenzen des anderen erkennen.
Ich muss mein Leid in seinem Leid wiederfinden.
Und ich muss ihn und mich, so wie wir sind, aushalten
können.
Hintergrund
Mehr als 65 Millionen Menschen befinden sich weltweit auf
der Flucht. Die Fluchtursachen sind vielfältig und niemals eindimensional.
Menschen verlassen ihre Heimat, ihnen die grundlegendsten Menschenrechte
versagt werden. Sie fliehen vor der Verfolgung durch die Sicherheitskräfte
ihres Staates. Sie fliehen vor Krieg, Hunger, Armut und der Zerstörung ihres
Lebensraumes. Sie fliehen innerhalb ihres Landes oder in die Nachbarländer.
Mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen und Kinder. Nur wenige dieser
Menschen schaffen es bis in die reichen Länder des Nordens. Internationale Konventionen
und Abkommen sichern Flüchtlingen Schutz und Hilfe in den Aufnahmeländern zu.
Nationale Gesetzgebungen regeln die Art und Weise der Anerkennung und der
Aufnahme der Flüchtlinge.
Auch die Bundesrepublik Deutschland ist eines dieser
Aufnahmeländer. Jährlich beantragen etwa hunderttausende Menschen bei uns Asyl.
Nur etwa 5% von ihnen werden als asylberechtigt anerkannt. In vielen Köpfen
entsteht der Eindruck, gefördert durch die Benutzung des Themas „Asylbewerber“
für kurzfristige tagespolitische Stimmungsmache von Parteien und anderen
gesellschaftlichen Interessenverbänden, die Ursachen für die Flucht der
abgelehnten 95 % der Asylbewerber lägen überwiegend in der subjektiven
„Lebensplanung“ des Einzelnen und es ginge der Mehrheit der abgelehnten Asylbewerber
lediglich um eine Verbesserung des eigenen Lebensstandards.
Trotz Informationsvielfalt bleibt das Wissen um die
Hintergründe und die Zusammenhänge von Fluchtursachen und die vielfältigen
Verknüpfungen mit den eigenen Lebensumständen oberflächlich. Oftmals werden
einfache oder gar falsche Informationen zu bequemen Denkmustern
zusammengestellt und verfestigen sich so im Laufe der Zeit.
Die Zeit drängt – schnelle Lösungen versprechen jedoch keine
Nachhaltigkeit.
Splitter
- Eigene Befindlichkeiten und Bedürfnisse, Träume und
Ängste, Hoffnungen und Enttäuschungen, eigene Lebensentwürfe, Werte und Normen
mit ins Blickfeld nehmen.
-Das Verständnis für die kulturelle Bedingtheit
individueller und gesellschaftlicher Denk- und Handlungsmuster fördern.
- Wohlwollende Wahrnehmung und Akzeptanz der eigenen Person
führt zur wohlwollenden Wahrnehmung und Akzeptanz des Gegenübers – und bedingt
sich gegenseitig.
- Widersprüchlichkeiten sind der Thematik zugehörig. Sie
gilt es auszuhalten.
- Sachliche Informationsvermittlung unter Berücksichtigung
und Offenlegung der jeweiligen Interessenlage und Bezüge
Die Arbeit mit dem Rollenspiel „Grenzüberschreitungen“
versucht, diese einzelnen Aspekte zu berücksichtigen. Dadurch ist der Verlauf
nicht festgeschrieben, jede Umsetzung gestaltet sich einzigartig. Während des
Spiels verwischen sich die Grenzziehungen zwischen eigener und angenommener
Identität. Dies gilt es zu klären und sichtbar werden zu lassen. Erst dann ist
eine Hinterfragung möglich.
Folgen
Zielformulierungen und vergleichbare, angestrebte Ergebnisse
widersprechen dem Spiel. Selbst- und Fremderfahrung, Fakten und Informationen,
Widersprüchlichkeiten und viele neue Fragen und Anregungen – mitgenommen wird
das gerade individuell Angemessene und Notwendige.
Das Spiel
Die TeilnehmerInnen schlüpfen für drei Stunden in die Rolle
des Flüchtlings, der SachbearbeiterIn, der EinzelentscheiderIn und der
SicherheitsbeamtIn. Rollenvorgaben und Ereigniskarten bestimmen den
Spielverlauf.
In den Gesprächsrunden/Arbeitsgruppen geht es um
Fragen der Selbsterfahrung und um die Vermittlung realer
Hintergrundinformationen aus den Bereichen Flucht und Asyl.
MitarbeiterInnen der unterschiedlichsten Organisationen und
Institutionen, die sich täglich in diesen Arbeitsfeldern bewegen, stehen
anschließend für Diskussionen zur Verfügung.
Das Angebot richtet sich an Menschen ab 14 Jahren. Die
Gruppe besteht maximal aus 16 Personen. Die Spielleitung übernehmen in der
Regel 3 Personen. Das Projekt läuft über
3 Tage mit maximal je 5 Stunden.
Spielregeln
1. Die Rollen werden nach dem Zufallsprinzip verteilt.
2. Die Rollenvorgaben sind verbindlich.
3. Ein Wechsel der Rollen während des Spiels ist nicht
möglich.
4. Das eigene Spiel kann zu jedem Zeitpunkt durch die
TeilnehmerIn abgebrochen werden.
Erfahrungen
Das Spiel entwickelte sich aus der Arbeit an der
interaktiven Ausstellung „Unerwünscht – eine Reise wie keine andere“ und
übernimmt von dort die unterschiedlichen Rollenvorgaben und das pädagogische
Grundkonzept. Von vielen Schulklassen, die die Ausstellung besucht hatten,
wurde der Wunsch geäußert, die gemachten Erfahrungen im Rahmen von Projekttagen
zu vertiefen bzw. auch anderen SchülerInnen zugänglich zu machen.
Beispiel (Auszüge): Projekttage an einem Gymnasium im
Vordertaunus mit einer Gruppe von 17 SchülerInnen in der Altersgruppe von 14 –
17 Jahren. Entgegen der Vorgabe hatte sich die Mehrzahl der SchülerInnen nicht
freiwillig für die Teilnahme gemeldet, sondern war aufgrund der Überfüllung der
eigentlich gewünschten Projektkurse unserem Angebot ohne
Widerspruchsmöglichkeit zugeteilt worden. Die Motivation und das Interesse an
der Thematik waren somit am Anfang nicht sehr groß. Die Einstiegsphase mit
Aufwärmübungen und Vorstellungsrunde wurde deshalb verlängert und die Fragen
der SchülerInnen zur „Mit- und Selbstbestimmung bei schulischen Aktionen“ und
der Formulierung und Durchsetzung eigener Interessen in demokratischen Formen
zogen sich wie ein roter Faden durch die gesamten Projekttage und ermöglichte
vielfältige Anknüpfungspunkte an das eigentliche Thema.
Die Zuteilung der Rollen wurde ohne Widerspruch hingenommen.
Schon nach kurzer Zeit wurden die knappen Rollenvorgaben mit den jeweiligen
eigenen Vorstellungen und Stereotypen gefüllt und erweitert. Die Folge: Das Spiel wurde schnell, hart und laut. Durch
die Ereigniskarten (z.B. nur noch eine
bestimmte Anzahl von positiven Asylentscheidungen sind erwünscht; Personal
begibt sich auf Fortbildungskurse; die Umverteilung in andere
Erstaufnahmeeinrichtungen entspricht nicht dem Wunsch eines Flüchtlings; die
medizinische Versorgung ist unzureichend; u.v.m.) wurde der Streßfaktor
kontinuierlich erhöht. Trotzdem stieg niemand aus dem Spiel aus. Nach dem Spielende waren alle erschöpft.
In den Nachbereitungsrunden (auch in Kleingruppen) wurden
dann die einzelnen Spielsequenzen und die Erfahrungen der TeilnehmerInnen
intensiv durchgearbeitet. Dabei ging es
vor allem um die subjektiven Erfahrungen und Eindrücke während des Spiels und
nicht um die Überprüfung des
Realitätsbezuges der jeweiligen Situationen. Diese Phase war für viele
TeilnehmerInnen emotional sehr belastend, da sie sich „auf Rolle“ oft nicht
entsprechend ihren eigenen Wertvorstellungen (ihres Selbstbildes) verhalten
hatten. Gefühle der Scham und des Entsetzens
brachen auf. Eine Gratwanderung, die viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl von
der Gruppenleitung verlangte. So
erschien es hier zwischendurch angebracht, für ein kurzes Volleyspiel die Räume
zu verlassen.
Auffallend und nicht im Widerspruch zu unseren bisherigen
Erfahrungen standen die „inhaltlichen“ Ergebnisse des Rollenspiels: Alle
Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegssituationen hatten einen positiven
Asylbescheid bekommen. Auch in dem folgenden theoretischen Teil stießen wir
wieder auf die klare und überwiegende Aussage: Ich würde meine Heimat bei Krieg
und Bürgerkrieg sofort verlassen und Flüchtlinge mit dieser Fluchtursache
bekommen ohne Wenn und Aber und immer Asyl. Grundlagenkenntnisse des Asylrechts
waren auch hier nicht mal in Ansätzen anzutreffen. Die klar strukturierten und
auf das wesentliche begrenzten Sachinformationen bildeten die Grundlage für
eine intensive Diskussionsphase.
Wir waren wie immer überrascht: Nach der emotionalen
Intensität des Rollenspiels war das Bedürfnis nach wertfreien Informationen
riesig und die Aufmerksamkeit und Konzentration erheblich erhöht. In den
abschließenden Gesprächsrunden mit zwei Vertretern aus
Nichtregierungsorganisationen konnten wir feststellen, dass sich
Fragestellungen und Argumentationsweisen an den Erfahrungen und den Informationen
der vorangegangenen Tage orientierten.
Leider ist es uns bisher aus organisatorischen Gründen nicht
gelungen, VertreterInnen vom Bundesministerium oder ähnlicher Stellen für das
Projekt zu gewinnen. Wir denken, dass dies für beide Seiten eine Bereicherung
wäre.
Ausführlichere Informationen und Buchungsmöglichkeiten
können angefordert werden bei
Heidrun Müller
Wilhelmstraße 17
63543 Neuberg
Tel.: 017647578815
Für Vor- und GrundschülerInnen
Im Rahmen der wunderbaren interaktiven Ausstellung
„Unerwünscht – eine Reise wie keine andere“ (1999) war ich als pädagogische
Leitung unter anderem für die Erstellung der Unterrichtsmaterialien zuständig.
Dabei entstand auch ein Kinderbuch, mit dem ich danach sehr viel in (Grund)
Schulen, mit Rahmenkonzept für Unterrichtseinheiten, unterwegs war. Dann dachte
ich, ich bräuchte das nicht mehr. Was für ein Irrtum. Nun bekomme ich wieder
Anfragen. Leider gibt es das Buch kaum noch auf dem regulären Buchmarkt, dafür
recht günstig durch andere Anbieter. Ich weise hier einfach mal drauf hin, weil
ich es immer noch mag und gerne mit ihm arbeite.
Kim ist meine Freundin - Ein Bilderbuch
Heidrun Müller
Vorwort von Heiko Kauffmann
Brandes & Apsel ISBN 3-86099-180-9
1999
Aus dem Inhalt:
Ein Bilderbuch über Verfolgung und Flucht und die sich
entwickelnde Freundschaft zwischen einem Flüchtlingsjungen und einem
einheimischen Mädchen. Mit Hinweisen und Anregungen für Erwachsene. Geeignet
für die pädagogische Arbeit mit Kindern ab dem Vor-/Grundschulalter zum Thema
Flucht und Asyl.
"Jules lebt in einer großen Stadt. Eines Nachts holen
Soldaten seinen Vater und Großvater ab. Später ist auch sein Bruder
verschwunden. Jules hat Angst, doch die Erwachsenen antworten nicht auf seine
Fragen. Einige Zeit später durchsuchen uniformierte Männer erneut das Haus. Am
nächsten Tag verlassen Jules und seine Mutter das Land. Jules beschließt zu
schweigen. Er lebt jetzt in dem neuen Land in einem Haus mit vielen Wohnungen
und geht in die Schule. Dort lernt er Kim, ein einheimisches Mädchen, kennen.
Auch Kim redet mit niemandem, wenn auch aus anderen Gründen als Jules. Doch die
beiden kommen sich näher. Und eines Tages finden sie ihre Träume wieder…"
Die Autorin hat sich bewusst dafür entschieden die
Illustrationen nur durch Farbspiele zu gestalten. So bleibt offener Raum für
eigene Phantasien und Bilder.
Ausführlichere Informationen und Buchungsmöglichkeiten für
Projekttage oder Lesungen können angefordert werden bei
Heidrun Müller
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