Ihr hüllt eure Kinder in Wattebäuschen, entschärft
Märchen bis zur Unkenntlichkeit, schleift den Vampiren die Zähne und erklärt
Eisbären zu Kuscheltieren, die dann auch noch süße, kleine Pinguine zu
Spielkameraden haben (das geht nicht!). Kinder sollen dies und das und jenes
nicht mitbekommen, schon gar nicht die Realität, denn es könnte ihnen ja
schaden oder sie gar traumatisieren. Ihr müllt sie ein mit euren
Scheinheiligkeiten und monologisiert sie hundert Mal am Tag zu mit all dem „Das
darfst du nicht! Das macht man nicht! Hauen darf man nicht! Streiten darf man
nicht! Und dies und das und jenes sind verboten! Wir haben uns alle lieb und
die Welt ist ein kuscheliges Himmelbett.“
Kinder sind nicht doof. Sie sind nicht blind und taub. Sie
bekommen sehr wohl und sehr früh mit, dass die Welt halt so gerade nicht ist,
gar nicht so sein kann. Denn da gibt es ein Machtgefälle zwischen ihnen und den
Erwachsenen, und zwischen dem Erwachsenen hier und dem dort auch, das sie zwar täglich
spüren, aber nicht zu benennen und einzuordnen lernen. Die Welt kann sehr wohl hart,
ungerecht, wahnsinnig, kalt, erschütternd und tödlich sein. Auch in der Familie
oder im familiären/sozialen Umfeld. Doch sie lernen, dass sie darüber nicht
reden dürfen. Und schon gar nicht dürfen sie wütend, stinkig, traurig, zornig, streitend,
neugierig, verwirrt, verzweifelt sein. Denn diese Gefühle sind ein großes Bäh, obwohl
sie sie doch immer wieder bei den Erwachsenen selbst wahrnehmen. Und irgendwann
geht es dann nicht mehr ums „Dürfen“, sondern ums „Können“. Doch sie können gar
nicht, weil sie nie durften.
Sie (er)leben von klein auf den totalen Widerspruch. Denn
eure Verbote und Belehrungen sind sehr wohl oft aggressiv und erniedrigend und
ihr setzt sie durch mit eurer Eltern- und Erwachsenengewalt. Warum glaubt ihr
wohl finden junge Jugendliche Ballerspiele und Hardcorefilme so attraktiv? Warum
sind Gewalt und Tod so faszinierend? Warum schlagen und hassen sie noch als
Erwachsene so völlig ins Blaue hinein? Unter anderem auch deswegen, weil sie
einen Teil von dem zeigen, sehen, stellvertretend erleben, in völlig verquaster
Art und Weise ausleben wollen, was sie als kleine Kinder nie zeigen und
spielerisch in einem geschützten Rahmen ausleben, ausprobieren durften. Sie
hatten nie die Chance zu lernen, ihre Gefühle selbst zu regulieren, denn sie
durften diese ja gar nicht haben. Sie haben nicht gelernt, dass es zum Beispiel
zwischen dem um sich Schlagen und dem stillschweigenden Hinnehmen noch so viele
unterschiedliche Facetten des Möglichen gibt, denn sie durften es ja nicht probend
üben. Sie haben nicht gelernt, dass man sich gemeinsam gegen Unrecht und Gewalt
zur Wehr setzen kann, denn im blaurosa Himmelbettchen ihrer überbehüteten
Kindheit brauchte es ja keine Solidarität.
Das ist dir zu platt? Ja. Suchen wir doch gemeinsam nach
Beispielen aus dem echten Leben.
Du fühlst dich durch das „Ihr“ überhaupt nicht
angesprochen. Fein! Dann machst du es ganz anders. Erzähl es uns und lass uns
an deinen Erfahrungen teilhaben.
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*Aus einem Gespräch darüber
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*Aus einem Gespräch darüber
Es geht ja nicht um Konfrontation oder aufgezwungener
Informationsvermittlung am aktuellen Interesse des Kindes vorbei. Eigentlich
geht es um eine grundsätzliche Haltung im gemeinsamen Leben: Gefühle darf man
haben. Jedes Gefühl. Dazu gehören auch Traurigkeit, Unsicherheit, Zorn,
Verzweiflung, Angst. Es wäre hilfreich, wenn man, auch in Anwesenheit von
Kindern, diese Gefühle, wenn man sie denn hat, konkret zu benennen. Das
ermutigt das Kind und zeigt, dass diese Gefühle keine verbotenen sind. So ein
ganz banales Beispiel: Es gibt so Kinderfilme, da heul ich einfach los, weil
sie etwas in mir antriggern. Also heulte ich und erklärte, warum ich es so
gemein fand, dass Bambis Mutter erschossen, das Biest so verachtet und die
Zwillinge getrennt wurden. Oder ich benannte meine Verzweiflung, wenn ich
wieder mal aufgrund von mangelndem Geld einen Wunsch von ihnen nicht erfüllen
konnte. Ich entschuldigte mich, wenn ich sie anschimpfte und eigentlich sie gar
nicht meinte, sondern den ungerechten Chef auf Arbeit und erklärte meine
Gefühle dabei. Und als sie älter waren, dann konnte ich ihnen auch meine Wut
zeigen, wenn wieder einmal jemand jemanden "Penner" nannte oder
jemand jemanden noch einen Tritt gab, wenn dieser jemand schon am Boden lag
oder mir verbieten, dass man auf mich schießt. Ich konnte diese Gefühl zeigen,
benennen und erklären, dass ich damit konkrete Bilder verband, die ich aus
diesem und jenem Grund nicht gut fand.... .... ... und, und, und .... es gibt
so viele kleine Möglichkeiten im Laufe des Tages Kindern gegenüber Gefühlen
einen Namen zu geben und vorzuleben, dass man diese sehr wohl haben darf.