Die „Time-out-Methode“ gehört für mich zu den widerlichsten
Erziehungsmethoden und trägt bei mir das Etikett „Schwarze Pädagogik“.
Sie scheint sich jedoch wie ein Virus in den letzten Jahren wieder
ausgebreitet zu haben. (Warum geht mir dabei wohl die Sendung „Super Nanny“
durch den Kopf?) Im dörflichen Umfeld meiner kleinen Enkelin ist dies zurzeit eine
der bevorzugten Methoden Kindern etwas beibringen zu wollen. Da werden Zwei-
bis Dreijährige ins verdunkelte Kinderzimmer, auf die Kellertreppe oder an
sonst einen gruseligen Ort verbannt, damit sie
… ja was eigentlich? … lernen sollen.
Unabhängig von dem auslösenden Konflikt lernen sie durch
diese Maßnahmen jedes Mal jedoch vor allem: Ich bin schuld. Ich genüge nicht. Es
liegt an mir.
In einem Moment, in dem das Kind dem eigenen Gefühlschaos
hilflos ausgeliefert ist und es nach Wegen sucht, damit effektiv umzugehen (was
der Hauptgrund für vermeintlich kindlichen Ungehorsam ist), in diesem Moment, in
dem es Beistand, Begleitung, Verständnis, Vorbild, Trost und liebevolle
Zuwendung bräuchte, wird es weggesperrt und seinen Ängsten und seinem
Gefühlsdurcheinander alleine und hilflos ausgesetzt.
Nein, es denkt im dunklen Zimmer nicht über sein „Vergehen“
nach, sondern ist völlig überfordert damit beschäftigt das verstoßende
Verhalten seiner Erwachsenen emotional so einzuordnen, dass es daran nicht
zerbricht.
Dieses Einordnen kann es aber noch gar nicht können, dafür
hat es nämlich viel zu wenig Erfahrungen, Vorstellungen und Interpretationsmuster
zur Verfügung. So bleiben ihm nur die durch diese Erziehungsmaßnahme
angebotenen Koordinaten Schuld und Scham als Ordnungshelfer für die
Wiederherstellung einer fragilen inneren Balance.
Und was ist mit der Wut? Wut als gesunde Reaktion auf
verletzendes und erniedrigendes Verhalten der Erwachsenen im gegenüber. Sie
muss unterdrückt und verdrängt werden diese Wut, weil es seine Erwachsenen doch
bedingungslos liebt, lieben will und muss. Denn diese Liebe ist es, die ihm das
Überleben sichert, innen und außen. Diese Liebe bringt es mit auf die Welt, sie
ist quasi die verlängerte Nabelschnur, die ihm das Überleben in den ersten
Jahren sichert und der erste Grundpfeiler seines sich herausbildenden Ichs. So vermischt
sich die Wut mit Schuldgefühlen und Scham, nistet sich ein und sucht sich später
unpassende verquerte Wege des Ausdrucks.
Ein irrer Kreislauf beginnt, in dem es nur Verlierer gibt.
*Anmerkung
Die, von dem von mir sehr geschätzten Herrn Juul und
anderen, vorgeschlagene "Auszeit ohne Wegsperren" kommentiere ich hier
nicht, da mein Konzept des Lebens mit Kindern grundlegend von Anfang an anders
läuft und es deshalb solche Situationen, in denen man sich
"Auszeiten" nehmen müsste, zumindest in jungen Jahren, einfach nicht
gibt.
Ja, aber was raten
Sie denn nun, Frau Müller?
Ich kann keine verallgemeinerbaren Empfehlungen geben. Das
widerspricht mir so sehr, sowohl in der Pädagogik, als auch in Bezug auf die
Therapie bei mir. Darum wird es auch nie irgendwelche
"Ratgeber"bücher von mir geben.
Die Menschen sind jeweils so einzigartig, die Umstände und
die Konstellationen in denen sie sich bewegen sind es ebenso. Und meine Blick darauf
doch auch. Also kann ich nur auf konkrete Situationen meine Sicht teilen und
ein wenig Handwerkzeug an die Hand geben. Nicht mehr und nicht weniger.
Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch Grundsätze,
die ich im Laufe meines Lebens oft überprüft habe, Manche habe ich
weggeschmissen, manche habe ich verändert und manche habe ich behalten. Zu dem
obigen Text hätte ich diese:
Kinder können nur Schuld annehmen. Sie können keine
verteilen. Erwachsene können sowohl Schuld verteilen und Schuld annehmen. Aber!
sie können auch damit aufhören. Das können Kinder nicht, einfach weil sie es noch nicht können können. Damit liegt, in meinem Verständnis, die Verantwortung für
diesen ganzen Schuld und Sühne Mist schlichtweg und ausschließlich bei den Erwachsenen.
Zum Thema "Tischmanieren" -> Mach es einfach
vor. Jeden Tag. Wieder und wieder. Und vertraue darauf, dass das Kind es in
Situationen, in denen es wirklich drauf ankommt, einfach können wird. Ich würde
da niemals einen Kampfplatz eröffnen drum.
Meine Erfahrung: Alle Kinder finden es toll mit Besteck zu
essen. Doch sie bestimmen selbst, wenn man sie denn bitte lässt, wann sie
anfangen es toll zu finden. Druck erzeugt hier nur Gegendruck und es ist halt viel
geiler zu erleben, wie man die Erwachsenen von Null auf Hundert bringen kann,
wenn man mit Sieben noch mal rumpatscht mit dem Essen. Welch ein Machtgefühl.
Wäre es aber nicht, wenn der Erwachsene einfach gelassen wäre: Es ist dein
Essen, iss es wie du meinst, dass es dir am besten schmeckt. Und man selbst isst
halt weiter fein mit Messer und Gabel.
Nebenbei, in ganz vielen anderen Situationen, kann man dem
Kind beibringen, dass es Situationen gibt, in dem man sich Regeln anpassen
könnte. Nicht, weil „man“ es so macht, sondern weil es schlichtweg von Vorteil sein
kann. Mama zieht sich besonders an, wenn sie auf Arbeit geht und Papa siezt den
Herrn vom Finanzamt und zum Kindergeburtstag der Freundin geht man in den
Klamotten, die man vorher ausführlich mit den Freundinnen ausdiskutiert hat.
Bitte und Danke sagen die Eltern eh bei jeder Gelegenheit, nehme ich an.
Kinder lernen nicht durch predigen und auch nicht durch Bestrafung
und Belohnung. Sie lernen durch Vorbilder. Ist eigentlich ganz einfach. ... Und
immer, wenn ich selbst verunsichert war oder bin, dann nehme ich mir die Zeit
und frage: Wenn ich mich so und so verhalte, was lernt das Kind da eigentlich?
Ist ausgesprochen hilfreich, weil manchmal sehe ich die darunter liegende,
wirklich tiefergehende eigentliche Lernbotschaft auch erst beim zweiten Blick.
Das macht nix. Geht kein Kind dran kaputt, wenn die Grundhaltung eben ist, dass
man es/sich immer wieder hinterfragt. Dann kann man auch mal locker ehrlich
sagen: Das war jetzt einfach glatter Unfug von mir. Kommt gut an und ist ein
feines Vorbild.