Es gibt zwei grundsätzliche innere Haltungen in Bezug auf
das Bild vom Kind:
1. Das Kind kommt als fehlerhaftes Wesen auf die Welt und
muss durch Erziehung zu einem sozial verträglichen Gesellschaftsmitglied
geformt werden.
2. Das Kind kommt als zutiefst soziales Wesen auf die
Welt und verfügt über alle dazugehörigen Eigenschaften wie Empathie, Mitgefühl,
Vertrauen in sich und andere, Offenheit und freundliche Neugierde. Es hat keine
Vorurteile und liebt bedingungslos. Diese Eigenschaften sollen durch das
Zusammenleben bestärkt, gefördert und ermutigt werden.
In jedem von uns liegt der Schwerpunkt und die
Ausrichtung auf einer dieser Haltungen. Es ist wichtig, sich selbst gegenüber
ehrlich zu sein, denn entsprechend dieser Haltung verhalten wir uns gegenüber
dem Kind.
Ich habe oft erlebt, dass Eltern sich durch Freunde,
Familie, Ratgeber verunsichern lassen, weil sie sich ihres inneren Bildes vom
Kind an sich nicht klar waren. Das führt in der alltäglichen Praxis meistens zu
im schnellen Tempo wechselnden, sich widersprechenden Verhaltensweisen
gegenüber dem Kind. Verwirrt (und manchmal gar verzweifelt über sich) ist dann
nicht nur der jeweilige Erwachsene, sondern vor allem auch die Kinder.
Es gibt nichts Schrecklicheres für Kinder als dieses Hin
und Her zwischen unterschiedlichen Erziehungsstilen. Heute Hü und morgen Hott.
Das verunsichert. Da ist keine Verlässlichkeit und genau diese braucht es doch
so sehr von seinen Erwachsenen, denn vor allem sie gibt ihm die Sicherheit, von
der ausgehend es die Welt erobern kann.
Ich habe in der Elternarbeit, auch in außerfamiliären
Einrichtungen, oft Eltern dabei geholfen, sich über diese innere Haltung klar
zu werden und mit ihnen dann gegebenenfalls nach andere Einrichtungen gesucht,
die viel besser zu ihrem Bild vom Kind und von Erziehung passten. Solange es
sich nicht um extreme Erziehungshaltungen (Stichwort Schwarze Pädagogik)
handelt, halte ich es auch heute noch für richtig, dass Eltern sich in ihrem
Umgang mit dem Kind nicht in etwas hineindrängen lassen, das konträr zu ihren
eigenen inneren Haltungen steht.
Authentizität gegenüber dem Kind erscheint mir als
Vorbild und zum Wohle des Kindes allemal besser als ein ständig sich
widersprechendes Hin und Her. Denn dieses nicht Verlässliche verunsichert ein
Kind auf der Beziehungsebene dermaßen, dass es keine Chance hat mit sich selbst
ins Reine zu kommen und im Laufe seiner Entwicklung in der Regel eine Reihe von
auffälligen Symptomen entwickeln wird.
Meine Erfahrung ist auch, dass später in der Pubertät die
notwendige Ichfindung und -stabilisierung durch Abgrenzung von den Eltern, viel
grundlegender und „gesünder“ stattfinden kann, wenn das vorherige
Erziehungsmodell als authentisch und ehrlich empfunden wurde.
Nichtsdestotrotz gebe ich mir natürlich alle Mühe,
Menschen und werdende Eltern davon zu überzeugen, dass die zweite
Sichtweise/Haltung in meiner Wahrnehmung natürlich die bessere für alle
Beteiligten sei.