Babys schreien lassen. Aus welchen verquerten Gründen
auch immer, scheint dies immer noch oder schon wieder durch die Köpfe so
mancher Menschen, und auch Pädagogen, als ein probates „Erziehungsmittel“ zu
spuken. Mir wird schlecht.
Da kleine Menschen noch kein Zeitgefühl haben, ist eine
Sekunde schreien für sie identisch mit einer Ewigkeit. Allein dieser Gedanke
schmerzt mich. Wie entsetzlich muss es sein in einem unendlichen Zeitkontinuum
sich einsam und verlassen und nicht gehört zu fühlen. Manchmal denke ich, dass
keine Minute der späteren Zuwendungen diesen Schmerz je gänzlich wird heilen
können. Es prägt, ganz, ganz tief innen. Folgen: Gefühlte Einsamkeit,
Bindungsängste, tiefe Zweifel an der eigenen Selbstwirksamkeit. Kann man das
"heilen"? Nein, wenn ich ehrlich bin, dann denke ich, dass diese
Wunde niemals verheilen wird. Man kann sie nur pflegen, so dass sie nicht
permanent nässt und man kann vielleicht verhindern, dass sie immer wieder zu
sehr aufreißt, indem man sich ihrer bewusst wird und sie als Teil von einem
selbst liebevoll annimmt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist möglich.